Gänseblümchenbrot

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Wienerwald, Augarten und Grünstreifen am Straßenrand haben eines gemeinsam: Sie beherbergen eine unglaubliche Vielfalt an wilden Kräutern, die für Verzehr und Heilung bestens geeignet sind.
Gabi Horak

Estragon macht sich gut aufs Brot. „Und kosten Sie mal das Bohnenkraut, aber nur ein Blatt, ist ziemlich scharf.“ Petra Zizenbacher lässt die Gäste in ihrem Garten alles abrupfen, was genießbar ist. Und das trifft auf so gut wie alles zu, wissen die Teilnehmerinnen und der Teilnehmer der Heilkräuter-Exkursion nach einer Stunde Spaziergang entlang der Liesing. Zum Abschluss werden jetzt Kräuterbrote geschmiert und Blütenwasser in allen Farben angesetzt. „Das schaut schön aus und schmeckt einfach so gut“, muss Petra Zizenbacher ihre Gäste gar nicht mehr überzeugen. „Der Schinken ist gestrichen vom Speiseplan“, sagt eine Teilnehmerin während sie noch mehr Gänseblümchen und Löwenzahn und Vogelmiere (Vogelbeeren werden erst im August reif und habe ich keine im Garten) auf ihr Butterbrot streut. Fast wie die vielen Hauskatzen schleichen Exkursionsleiterin und mehrere Teilnehmerinnen barfuß durch das nasse Gras, schnuppern an den beschilderten Kräutern. Durch das Gewitter am Nachmittag ist alles frisch gewaschen und saftig. Aber sind die Kräuter in der Stadt außerhalb des eigenen Gartens genauso bedenkenlos zu genießen?
Petra Zizenbacher ist Allgemeinmedizinerin und praktiziert neben Seminaren und Exkursionen in ihrer Ordination seit 1996 mit Leidenschaft Naturheilkunde. Sie ist überzeugt: „Es gibt keine giftfreien Plätze mehr, deshalb sammle ich auch in der ganzen Stadt.“ Die Menschen würden durch gekaufte Lebensmittel täglich so viele „Gift“ mitessen, dass die Verschmutzung wilder Kräuter in der Stadt nicht mehr ins Gewicht falle. Zumindest oberhalb der „Hundepinkel-Grenze“ sollte die Ernte aber doch stattfinden, und offensichtlich staubig oder verschmutzt sollten die Pflanzen nicht sein. Petra Öllinger, Autorin und Kräuter-Expertin, ist da etwas vorsichtiger. Sie bietet ebenfalls individuelle wie Gruppen-Exkursionen zu Pflanzen und Kräutern in Wien an. Für sie sind viel befahrene Straßen, Hundezonen sowie Pflanzen in unmittelbarer Nähe von Kleingärten, Weingärten und Feldern tabu – „zu viele Pestizide“.
Gute Sammelplätze gibt es in Wien viele: Steinhof, Mauer, Donauauen, Jubiläumswarte, Himmelswiese, etc. Der Wienerwald ist „ein Juwel“ sagt Petra Öllinger. Im Augarten auf dem aufgeschütteten, trockenen Sand bei den Flacktürmen hat sie kürzlich „unglaubliche Pflanzen“ gesichtet. Und am Donaukanal hat sie beim Spaziergang mit ihrem Hund einen wild wachsenden Feigenbaum entdeckt, gleich nebenan blühte der Hopfen. Auch Petra Zizenbacher weiß die Stadt zu schätzen: „Wien hat die Besonderheit, dass wir sehr verschiedene Gesteinsschichten haben. Vom Schwemmland rund um die Donau mit typischen Aupflanzen bis zum Wienerwald mit ganz anderem Boden.“ Bei einer ihrer letzten Exkursionen hat sie mit den Teilnehmern vermeintliches Unkraut aus den Blumenkästen vor dem Rathaus genascht. Wie gut Wien begrünt ist zeigt sich beim Vergleich mit anderen Städten. Wenn Petra Zizenbacher ihren Sohn in Paris besucht, holt sie sich die frischen Kräuter fürs Frühstück aus den Mauerritzen.
Die Grundregel fürs Kräuter-Sammeln: Was ich nicht kenne, lass ich stehen. Zizenbacher: „Und wenn ich es probieren will, dann zuerst daran riechen, auf die Haut reiben, schmecken. Dann merkt man schon, ob mir die Pflanze sympathisch ist.“ Giftpflanzen gibt es im städtischen Bereich natürlich auch, aber sie sind nicht gleich tödlich. „Es kommt immer auf die Menge an.“ Sie erinnert, dass bis in die 1970er Jahre sogar Maiglöckchen-Blätter und Fingerhut in Teemischungen in Apotheken zu finden waren.

Die Heilkräuter-Exkursionen von Petra Zizenbacher stehen unter dem Motto: Gegen jedes Leid ist ein Kraut gewachsen. Eine Einschränkung: „Der Mensch muss die Rahmenbedingungen schaffen.“ Anschauliches Beispiel: ein Patient mit Magenkrebs, der sich ausschließlich süß und fettig ernährte. „Im Spital wurde ihm nur gesagt, jetzt werde er operiert und dann kommt die Chemotherapie. Keiner hat seine Ernährungsgewohnheiten angeschaut. In so einem Fall ist kein Kraut gewachsen!“ Ihre Patienten müssen mitunter ihren Lebensstil komplett umstellen. „Da bleibt kein Stein auf dem anderen.“ Alles andere wäre unseriös. Und von dieser Sorte gibt es ohnehin genug Angebote: vom esoterischen Hexenkult bis zu Wundermitteln der Naturkosmetik. Industrialisierte Monokulturen, etwa riesige Pflanzenplantagen in China, hätten in den letzten Jahren einen Boom erlebt, weiß Petra Zizenbacher. Aber selbst wenn sie biologisch sind, hält die Ärztin nichts von Monokulturen. „Auf keiner Wiese wächst nur Löwenzahn. Pflanzen brauchen den Austausch miteinander, damit sie die Vielfalt der Inhaltsstoffe entwickeln.“ Aloe Vera, Echinacea und co sind bei uns gar nicht heimisch, wir haben Hauswurz und Holler, „die das auch können“, so Zizenbacher: „Gesundheit kann man nicht kaufen. Man muss sich bemühen und beobachten: Was gehört zu mir.“ Sie rät ihren Patienten und Gästen das alte Sprichwort zu beherzigen: Die Heilpflanze wächst am eigenen Grund. Es reicht, für den Beginn, einen Blumenkasten auf die Fensterbank zu stellen und zu warten, was sich ansiedelt und „welche Entsprechung das für mich hat.“ Petra Öllinger hat den Rat der Kollegin längst befolgt. Ihre Pflanze scheint die Vogelmiere zu sein. „Die kommt einfach, ob ich will oder nicht.“