Interview über Blutegel

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derstandard.at: Ist die Blutegeltherapie eine Form des Aderlass?
Zizenbacher: Ein Zusammenhang besteht nur insofern, dass beides Regulations- und Ausgleichstherapien sind. Der Organismus kann sich damit aus festgefahrenen Regelkreisläufen lösen. Der wesentliche Unterschied ist: Beim Aderlass (Blutentnahme ca. 250ml, genaue Beachtung des Mondstandes) dient die Blutentnahme der Entlastung, während das Ansetzen eines Blutegels bereits eine therapeutische Anwendung ist.

derstandard.at: Eine Therapie, die durch die große Vielfalt an Stoffen, die der Blutegel mit seinem Speichel in die Wunde abgibt, zustande kommt. Wie wirken diese Substanzen?
Zizenbacher: Blutegel sondern weit mehr als zwanzig Substanzen ab. Das Wissen über jede einzelne und ihr Zusammenspiel untereinander ist noch immer sehr mangelhaft. Erst vor kurzem habe ich erfahren, dass sie sogar antibiotische und schmerzlindernde Stoffe bilden. Ganz genau lässt sich aber immer noch nicht abschätzen, welche biologischen Stoffwechselvorgänge der Blutegel im menschlichen Organismus auslöst.

derstandard.at: Aber wenn sich der Effekt nicht abschätzen lässt, wie kann man dann sicher sein, dass es ein positiver ist?
Zizenbacher: Das sind zum einen Erfahrungswerte (seit vielen Jahrhunderten wird die Therapie angewandt und war bis vor einigen Jahren Standardtherapie im Spital und niedergelassenen Bereich) und gleichzeitig erfordert es eine genaue Kenntnis des Patienten. Entscheidend ist die Anamnese, das Gespräch mit den Patienten im Vorfeld. Die Hautbeschaffenheit ist ebenfalls ein wichtiges Detail. Ist die Haut sehr trocken, und fehlt es ihr an Elastizität oder die Durchblutung ist sichtbar beeinträchtigt, dann ist vor dem Ansetzen der Egel eine Hautpflegende Vorbereitung erforderlich, damit Heilungs- und Abwehrmechanismen auch in Gang gesetzt werden können.

derstandard.at: Außer der Hautpflege im Vorfeld, ist sonst noch eine Vorbereitung erforderlich?
Zizenbacher: Meine Patienten entschlacken vor der Therapie eine Woche lange. Im Detail heißt das, ich empfehle eine Woche lang auf den Verzehr von tierischem Eiweiß zu verzichten und am Vorabend die letzte Mahlzeit um 17:00 Uhr einzunehmen. Sind die Beschwerden sehr vielfältig und der Lebensstil entsprechend ausufernd, dann ist vor der Egelbehandlung eine dreiwöchige Entlastung notwendig. Im Anschluss behandle ich das, was an Beschwerden überbleibt. Oft ist es so, dass allein durch die Lebensstiländerung viele Symptome ganz von selbst verschwinden.

derstandard.at: Gibt es Kontraindikationen für eine Blutegeltherapie?
Zizenbacher: Ja, Patienten, die eine Blutverdünnungstherapie erhalten dürfen mit Blutegeln erst nach Absetzten der Blutverdünnung behandelt werden. Das Problem ist, viele Menschen haben keine Ahnung was sie an Medikamenten täglich schlucken. Umso wichtiger ist es für mich, denjenigen den ich behandle auch zu kennen. Die Blutegeltherapie erfordert wie jede andere Therapie auch eine gute Arzt-Patientenbeziehung. Ich persönlich behandle niemanden mit Blutegeln, der sich seines Körpers nicht bewusst ist und der es ablehnt am nächsten Tag zur Kontrolle zu erscheinen.

derstandard.at: Wozu dient die Nachkontrolle?
Zizenbacher: Ich kann im Vorfeld nicht beurteilen, wie tief sich der Egel in die Haut ritzt und ob der Patient nicht eventuell nachblutet. Die Patienten müssen sich für diese Behandlung Zeit nehmen. Ich rate jedem, am Tag der Therapie zu liegen und den behandelten Körperteil hoch zu lagern.

derstandard.at: Welche Erkrankungen behandeln sie mit den Blutsaugern?
Zizenbacher: Die Indikationen sind sehr unterschiedlich und reichen von Krampfadern, bis zu Rücken- oder Regelschmerzen. Blutergüsse, Muskelzerrungen und auch Augenerkrankungen wie das Glaukom eignen sich für die Blutegeltherapie. Entscheidend ist, dass man hinterfragt, warum der Mensch diese Erkrankungen bekommen hat. Oft sind Blockaden, Stagnationen oder eine mangelhafte Entgiftung aufgrund eines verlangsamten Stoffwechsels die Ursache. Der Lebensstil ist an vielen Erkrankungen einfach entscheidend mitbeteiligt. Der Blutegel ist ein wunderbares Heilmittel, aber immer nur unter Berücksichtigung oben genannter FaktorenFaktors.

derstandard: Heilmittel im Sinn von Heilung, und nicht nur Symptombekämpfung?
Zizenbacher: Ja allerdings nur, wenn der Mensch seine Hausaufgaben macht.

derstandard: Was genau tut der Egel?
Zizenbacher: Biotechnisch gesehen ist mir das ein Rätsel. Der Blutegel ist ein Mollusk und besitzt als solcher keine Knochen. Er hat aber Beißleisten und ritzt sich mit diesen einen wunderschönen Mercedesstern in die Haut. In dem Moment wo er zu saugen beginnt, spritzt er bereits Substanzen, wie das blutverdünnende Hirudin hinein. Wenn er satt ist fällt er von selbst ab.

derstandard.at: Was passiert im Anschluss mit ihm?
Zizenbacher: Meine Blutegel gebe ich den Patienten nach der Behandlung in einem Glas mit sauberem Wasser und einem scharfkantigen Gegenstand an dem er sich reiben kann, mit nach Hause.

derstandard.at: Wozu?
Zizenbacher: Nach vier oder fünf Monaten ist es möglich, dass der Egel wieder saugt. Wenn es sich der Patient zutraut, kann er versuchen sich nach dieser Zeit den Blutegel erneut anzusetzen. Wenn nicht, kommt er damit zu mir.

derstandard.at: Wie viele Blutegel verwenden Sie pro Sitzung?
Zizenbacher: Das ist ganz unterschiedlich. Das hängt unter anderem von der Größe der Egel ab, die zwischen zwei und fünf Zentimetern variiert. Je größer der Egel, desto weniger setze ich an. Alter und Hautbeschaffenheit sind ebenfalls entscheidend. Ich wäge hier ganz individuell ab. Maximal setze ich aber zehn Stück an. Kann sein, dass ich aber auch nur drei verwende.

derstandard.at: Was kostet die Therapie?
Zizenbacher: Die Egel und meinen Ordinationstarif. Ein Egel kostet 10 Euro. Der Preis pro Egel wird oft als hoch empfunden, jedoch muss berücksichtiget werden, dass die Tiere sehr empfindlich sind. Einige sterben noch bevor sie angesetzt werden können.

derstandard.at: Was macht sie so empfindlich?
Zizenbacher: Blutegel brauchen eine hohe Wasserqualität. Dies ist auch der Grund warum sie heutzutage in natürlicher Umgebung so selten zu finden sind. Sie sind keine Ampulle die man aufmacht. Das sind wunderbare Kreaturen. Ich habe schon wunderbare Behandlungsergebnisse erlebt und es ist noch nie ein Blutegelbiss eitrig geworden.

derstandard.at: Das bedeutet der Egel selbst kann nicht zur Infektionsquelle werden?
Zizenbacher: Nein. Ich setze diese Tiere nun seit zwölf Jahren an und habe noch keinen Infektionsfall erlebt. Allerdings habe ich schon allergische Reaktionen gesehen.

derstandard.at: Wie sehen diese aus?
Zizenbacher: Lokale Reaktionen wie bei einem Wespen- oder Bienenstich sind möglich, die Schwellungen können ziemlich ausgeprägt und entsprechend unangenehm sein. Was sich hier immunologisch im Detail abspielt weiß ich nicht. Tatsache ist jedoch, dass die Patienten nach der Behandlung durch die Besserung der Beschwerden zufrieden waren.

derstandard.at: Gibt es sonst Nebenwirkungen?
Zizenbacher: Narbenbildungen in Form eines Mercedessterns sind relativ häufig.

derstandard.at: Wieso beißen manche Egel nicht?
Zizenbacher: Das würde ich auch gerne wissen. Wichtig ist auf alle Fälle die Vorbereitung. Die Patienten dürfen vorher keine Körperpflegeprodukte oder Parfums verwenden und sollten ausreichend trinken, damit die Haut auch elastisch ist. Ich habe schon Patienten nach Haus geschickt und zwei Tage später wieder herbestellt und plötzlich hat derselbe Egel, der sich vorher geweigert hat zuzubeißen, es beim zweiten Termin problemlos gemacht.

derstandard.at: Tut es denn weh?
Zizenbacher: Ich habe mir schon selbst Blutegel angesetzt und ich weiß die ersten Bisse sind nicht angenehm. Es ist ungefähr so wie wenn man einer Wespe zusieht wie sie sticht und langsam das Gift reinspritzt.

derstandard.at: Das klingt schmerzhaft.
Zizenbacher: Also ganz schmerzlos ist es nicht. Das muss man fairerweise sagen.